Sa, 27. April 2024
Close

Religion ist keine Bedrohung

  (sr). In Schwerin saßen gestern die Vertreter aller großen Religionen an einem Tisch und zeigten deutlich, dass man vor Religion, anders als in den letzten Wochen immer wieder behauptet,

  • Veröffentlicht Februar 12, 2015

 

Dialog 1
Alle großen Religionen gestern an einem Tisch (v.l.n.r.): Rudi Hubert (Katholische Propsteigemeinde Schwerin), Mohamed Dib Khanji (Islamischer Bund), William Wolff (Jüdische Gemeinde), Martin Innemann (Moderator), Haiko Hassan Hoffmann (Islamisches Zentrum), Holger Marquardt (Evangelische Schlosskirche)

(sr). In Schwerin saßen gestern die Vertreter aller großen Religionen an einem Tisch und zeigten deutlich, dass man vor Religion, anders als in den letzten Wochen immer wieder behauptet,  keine Angst haben muss. 

 

 

»Keine Angst vor Religion!« – unter diesem Motto fand am Mittwochabend der Interreligiöse Dialog der Landeshauptstadt erstmals im Demmlersaal des Rathauses statt. Im Interreligiösen Dialog sind Vertreter der großen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbunden und treffen sich regelmäßig zum Gedankenaustausch. Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist die gemeinsame Organisation der jährlich stattfindenden interreligiösen Woche in Oktober. Dass man diesmal einen öffentlichen Veranstaltungsort gewählt hat, ist vor allem den Auseinandersetzungen der letzten Wochen rund um das Aufkommen antiislamischer Bewegungen wie Pegida und ihrem Ableger in Mecklenburg-Vorpommern MVgida geschuldet. Die Veranstalter wollten daher ein Forum bieten, bei dem sowohl die Religionen, aber auch die Menschen ins Gespräch kommen können. Gut 100 Menschen folgten dieser Einladung.

 

 

Bedauerlich war, dass offenbar niemand die Einladung aus den Kreisen annahm, die sich in den letzten Wochen immer wieder lauthals als die »Retter des Abendlandes« aufspielen. Gestern Abend hätte die Möglichkeit bestanden, sich sachlich mit dem Islam auseinanderzusetzen und die anwesenden Religionsvertreter zu befragen. An diesem Gesprächsangebot, dieser Eindruck muss entstehen, scheint aber seitens der Islamkritiker kein Interesse zu bestehen. Gewünscht hätte sich an diesem Abend auch mancher Anwesende, dass die Auseinandersetzung, die im Moment auf der Straße geführt wird, auch bei größeren Kreisen innerhalb der Stadtgesellschaft auf Interesse gestoßen wäre.

 

 
 Anzeige

 

Martin Innemann, der stellvertretende Pressesprecher des Erzbistums Hamburg moderierte durch den Abend. Erst einmal stellten sich alle Religionen kurz vor.

 

Wir brauchen keine Angst vor Islamisierung haben

 

Schwerins Ehrenbürger und Landesrabbiner von Mecklenburg.-Vorpommern, William Wolff machte für das Judentum den Auftakt. In seinem Statement ging er darauf ein, wie sein eigener Weg zur Religion geführt hat. Sein Vater war ein frommer Jude, seine Mutter nicht. Als ihn die Lehrerin mit 19 Jahren fragte, was er denn einmal werden wollte, antwortete er Journalist oder Rabbiner. Erst einmal wurde Wolff dann Journalist, um dann mit 53 Jahren diesen Beruf an den Nagel zu hängen und Rabbiner zu werden. Mit 57 Jahren wurde Wolff als Rabbiner ordiniert. Mit 75 Jahren wechselte der in Berlin geborenen Wolff, der mit seinen Eltern während der Diktatur der Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen musste, von London nach Schwerin, um den jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern als Rabbiner zur Verfügung zu stehen. Menschen, die sich für einen Übertritt zum Judentum interessieren, gibt der Rabbi mit auf dem Weg, dass »das Judentum im Leben des Menschen Sinn machen muss«.

 

 

Gründe für Antisemitismus sieht der Rabbiner vor allem in der Furcht und den Vorurteilen Minderheiten gegenüber. Umgang mit Minderheiten sei daher ein grundlegendes Problem von Mehrheiten in jeder Gesellschaft.

 

 

Haiko Hassan Hoffmann vom islamischen Zentrum Schwerin, der an diesem Abend als Vertreter der schiitischen Richtung des Islams auf dem Podium saß, stellte am Anfang klar, dass »IIslam nicht das ist, was tagtäglich in den Medien beschrieben wird«. Hoffmann beklagte vor allem den aus seiner Sicht unfairen Umgang mit dem Islam durch die Medien. Hoffmann wünsche sich in der Gesellschaft viel mehr, dass Menschen aufeinander zugehen und sich in ihrer Unterschiedlichkeit gegenseitig akzeptieren und nicht nur tolerieren würden. »Das heißt ja nicht, dass ein anderer die Eigenschaften, die Ideen eines anderen aufzunehmen hat. Aber er soll einfach mit ihm selbstverständlich leben, ob sie nun Muslime oder Nicht-Muslime sind.«

 

 

Pastor Marquard von der evangelischen Schlossgemeinde als Vertreter der evangelischen Christen auf dem Podium betonte »das die Christen ihre Lektion gelernt haben« und daher heute ein klares Verhältnis zur Gewalt hätten. Heute sei ein »ein Dialog auf Augenhöhe mit anderen Religionen wichtig«.

 

 

Mohamed Dib Khanji vom Islamischen Bund in Schwerin, der die sunnitische Richtung des Islams vertrat, machte deutlich, dass man vor »Religionen und Weltanschauungen keine Angst haben muss«. Immer seien es Menschen, die solche Dinge missbrauchen und oft in eine gefährliche Richtung interpretieren würden. Khanji sieht die Aufgabe des Islamischen Bundes in Schwerin vor allem darin »die Aussagen des Islams in Schwerin bekannt zu machen«. Angesichts der Diskussion um den Islam, macht der Vorsitzende des islamischen Bundes deutlich, dass die Gelehrten immer wieder gefordert seien »den Islam immer wieder aus dem Koran heraus weiterzuentwickeln«. Der Islam sei daher keineswegs, wie zuweilen der Eindruck erweckt wird, im »Mittelalter« stehen geblieben. Wie andere Religionen auch, entwickelt er sich laufend, ohne die Grundlagen, die im Koran vorgegeben sind, aus dem Auge zu verlieren.

 

 

Rudi Hubert von der Katholischen Propsteigemeinde St. Anna Schwerin, betonte ebenfalls, dass es im Christentum in der Vergangenheit Fehlentwicklungen gegeben habe. »Wir haben aber intensiv über diese Fehler nachgedacht«. Abendland sei für ihn daher die Komponente aus griechischer Philosophie, römischem Recht und jüdisch-christlichen Wurzeln. In der Verwendung des Begriffes Abendland im Zusammenhang mit den Pegida-Demonstrationen sieht Hubert einen Missbrauch des Begriffs. »Wir brauchen keine Angst vor Islamisierung haben, sondern vor den Fehlern, die wir als Religion auch gemacht haben«, betonte Hubert ausdrücklich. Im Christentum sieht er die Botschaft der Freiheit und Hinwendung zum Menschen.

 

Muslime unternehmen etwas gegen Fundamentalismus

 

Nach der Einführung wurde die Fragerunde für Zuhörerfragen eröffnet. Viele Fragen beschäftigten sich mit dem Stand der Religionsfreiheit in islamischen Ländern. Die Vertreter des Islams machten deutlich, dass es sich bei den kritisierten Ländern um Diktaturen handeln würde. Die Frage sei daher, was Menschen für Freiheit machen würden? »Muslime sehnen sich nach einer Gesellschaftsordnung wie die unsere«, erläutert Mohamed Dib Khanji, der vor vielen Jahres selbst aus Syrien fliehen musste, da er ins Visier der dortigen Machhaber geraten war.

 

 

Hoffmann machte weiter deutlich, dass aus seiner Sicht auch »die Informationspolitik in unserem Land ein Problem ist«. Muslime würde etwas gegen Fundamentalismus unternehmen. »Schauen Sie sich zum Beispiel die Stellungnahmen der islamischen Verbände zu den Anschlägen in Paris an«. Das hätte viel zu wenig Niederschlag in den Medien gefunden. Gerade im Bereich der Menschenrechtsverletzungen in den kritisierten Ländern, sei aber zuerst die Politik gefordert. Hier könnten Muslime nicht deren Aufgabe übernehmen.

 

 

Ein weiteres Themenfeld an diesem Abend waren die Unterscheide zwischen den Religionen. Eine große Herausforderung sei dort immer wieder die Frage, wie man mit der Fremdheit des Anderen umgeht. Die Religionen in Schwerin haben sich hier schon vor über 10 Jahren auf den Weg gemacht und viele Vorurteile überwinden können. Sich gegenseitig Kennenlernen, miteinander teilen und sich begegnen, da waren sich alle Religionsvertreter einig, sei der wichtigste Weg des Dialogs und der Verständigung. »Der Mensch muss sein Tun mit seinem Gewissen vereinbaren«, fasste Mohamed Dib Khanji die Herausforderungen eines jeden Einzelnen, religiös oder nicht, zusammen.

 

 

Rudi Huber machte deutlich, dass das »Gerücht von Gott den Menschen in der ehemaligen DDR in 40 Jahren Kommunismus aus den Herzen herausgerissen worden sei«. Davon zeuge ein Bevölkerungsanteil von gut 80 Prozent Atheisten in Schwerin. Viele Menschen seien einfach in ihrem Leben mit Religion nicht in Berührung gekommen. Die Diskussionen der letzten Jahre und Wochen würden daher manchmal als eine Bedrohung durch Religion empfunden. Angst, so der allgemeine Tenor, müsse man vor Religion aber nicht haben.

Written By
Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

2 Comments

  • Vorab: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Götter!

    Religionen sind Diebe der geistigen Selbstständigkeit.

    Joachim Datko – Physiker, Philosoph
    Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
    http://www.monopole.de

  • Es war, denke ich, nicht allzu bekannt. Lese das hier jetzt zum erstem Male. Und interessiere mich sher dafür. Schreiben Sie es beim nächsten vorher Male gleich hier ins Blatt. Über die SVZ erreicht man de Lüd schon lange nicht mehr. Möglicherweise haben die Organisatoren das nicht bedacht.

    beste Grüße

    Dietrich Bussler

Kommentiere den Beitrag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert