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Anklage gegen ehemaligen SS-Mann: Wenn die Toten die einzigen Zeugen sind

(stm). Es ist ein einzigartiger Fall in der Nachwendegeschichte Mecklenburg-Vorpommerns: Gestern erhob die Staatsanwaltschaft Schwerin Anklage gegen einen 93-jährigen Mann. Ihm wird vorgeworfen, als SS-Sanitäter, Beihilfe zum Mord an mindestens

  • Veröffentlicht Februar 24, 2015
Staatsanwaltschaft Schwerin
Vertreter der Staatsanwaltschaft Schwerin gaben gestern Auskunft über den Sachstand der Ermittlungen gegen einen ehemaligen SS-Angehörigen (c) Schwerin-Lokal

(stm). Es ist ein einzigartiger Fall in der Nachwendegeschichte Mecklenburg-Vorpommerns: Gestern erhob die Staatsanwaltschaft Schwerin Anklage gegen einen 93-jährigen Mann. Ihm wird vorgeworfen, als SS-Sanitäter, Beihilfe zum Mord an mindestens 3.681 Menschen geleistet zu haben. Auf einer Pressekonferenz  stellte die Staatsanwaltschaft gestern ihre Ermittlungsergebnisse vor.

 

Gerade erst fanden deutschlandweit Aktionen und Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestag der Befreiuung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz/Birkenau statt. Auch in Schwerin gedachten viele diesem geschichtsträchtigen Tag. „Nie wieder“,  so die leicht greifbare Botschaft der Mahn-, und Gedenkveranstaltungen.

 

Mancher meinte in diesem Zusammenhang, dass das alles lange her ist. Gedenken schön und gut, aber von den Tätern lebt doch niemand mehr. Nun hat die Geschichte die Staatsanwaltschaft in Schwerin eingeholt. Seit gestern ist ein heute 93-jähriger Mann aus Vorpommern der Beihilfe zum Mord angeklagt.

 

Beihilfe zum Mord an 3.681 Menschen

 

Die Staatanwaltschaft wirft ihm vorsätzliche Beihilfe in mindestens 3.681 Fällen vor. Die Beweise stütze sich hier, was der Zeit geschuldet ist, auf Dokumente, Tonbänder und Dokumentationen. Die Staatanwaltschaft baut dabei auf Indizien, Dokumenten und Aussagen auf, die im Rahmen vieler vornagegangener Verhandlungen gesammelt wurden.

 

Was wird dem mutmaßlichen Täter Hubert Z., Jahrgang 1920 nun genau vorgeworfen?

 

Z. soll als SS-Sanitätsdienstler einige Monate zuvor im Frauenlager von Auschwitz aktiv gewesen sein. Das Frauenlager befand sich in Sichtweite der Gaskammern und der Verbrennungsöfen. „Er konnte das verbrannte Fleisch riechen.“ so Oberstaatsanwalt Förster.

 

Auschwitz
„Er konnte das verbrannte Fleisch riechen.“ Lagekarte vom Vernichungslager Auschwitz

 

Als der Angeklagte dann nach einer halbjährigen starken Fiebererkrankung  freiwillig seine Arbeit in Ausschwitz wieder aufnahm, wurde er in Birkenau zur Versorgung der Lagerkommandeure und SS-Männern zugewiesen. Während dieses Zeitraumes war ihm nach Aussage der Staatsanwaltschaft bewusst was in Auschwitz-Birkenau schreckliches passeiert. Mindestestens 14 Züge sind in den einem Monat, in dem er als Pfleger für SS Mannschaften arbeitete, im Lager eingetroffen. Laut Dokumenten der „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ waren es mindestens 3.681 Menschen, die in diesem Zeitraum in Auschwitz zu Tode kamen.

 

Die „Zentrale Stelle“ hat ihre Tätigkeit als gemeinschaftliche Einrichtung aller Landesjustizverwaltungen der Bundesrepublik Deutschland am 1. Dezember 1958 aufgenommen. Sie war zunächst nur für Taten außerhalb des Bundesgebiets zuständig, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen, jedoch außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen, gegenüber der Zivilbevölkerung begangen worden waren. Schwerpunkt waren hier auch die Gräueltaten in den Konzentrationslagern. Die „Zentrale Stelle“ verfügt über eine Sammlung eines Archivgutes von ca. 800 laufenden Metern Akten.

 

Z. soll also bescheid gewusst haben, was in seiner nächsten Nähe passsierte. Doch hatte der Angeklagte überhaupt die Möglichkeit, irgendetwas gegen das Unrecht zu tun?

 

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Ja, das hatte er. Es gibt Verordnungen aus der Zeit, die deutlich machen, das SS-Mitglieder zu keinem Dienst im Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern verpflichtet werden durften. Hubert Z. konnte sich seinen „Job“ also aussuchen. Und er hat sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, dadurch wissendlich an der Ermordung von mindestens 3.681 Menschen schuldig gemacht.

 

Nicht ganz uninteressant dürfte sein, dass sich die Autorin der berühmten Tagebücher, Anne Frank und ihre Familie in dieser Zeit im Lager aufhielten und vermutlich zu den Insassen einer der 14 Züge gehörte. Auch wenn die Taten inzwischen 71 Jahre zurück liegen – Mord, und auch Beihilfe zu Mord, verjähren nicht.

 

 Haftstrafe nicht unter drei Jahren

 

Hier stellt sich eine weitere Frage, kann man einen Menschen im Alter von 93 Jahren noch vor ein Gericht zerren, der anscheinend so wenig soziale und finanzielle Ressourcen hat, dass eine Fluchtgefahr ausgeschlossen wird? Ja man kann. Denn in Ausschwitz-Birkenau wurden auch von SS-Sanitätern, tausende alte Menschen in den Tod geschickt.

 

Hubert Z. würden im Falle einer Verurteilung 3 bis 15 Jahre Haft erwarten. Der Oberstaatsanwalt Förster, der den Angeklagten auch selbst vernommen hat, hält den ehemaligen SS-Mann für voll vernehmungsfähig.

 

Der Angeklagte selbst, schweigt bisher zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen. Gegenüber der Staatsanwaltschaft bestätigte er lediglich, dass „Kameraden über viele unrechte Dinge, die im Lager geschehen sind, berichtet“ hätten.

 

Dieser Fall ist einzigartig in der Nachwendegeschichte der Staatsanwaltschaft Schwerin. Die Ermittlungen gegen Z. laufen im Moment noch. Unter anderem würde sein Wirken in anderen Lagern, so zum Beispiel in Dachau und Neuengamme, geprüft. Es ist daher nicht auszuschließen, dass noch weitere Verbrechen zu Tage treten könnten. Die Gerichtsverhandlung gegen Z. könnte noch in diesem Jahr beginnen.

 

 

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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