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Marie-Céline: Zurückhaltung wäre besser gewesen

Der Tod von Marie-Céline hat die Medienwellen hochschlagen lassen. Daher habe ich mir einmal Gedanken zur Medienberichtserstattung gemacht. Herausgekommen ist ein nachdenklicher Beitrag

  • Veröffentlicht Juli 24, 2015
Kerzen und Kuscheltiere erinnern an eine Tragödie vom Mittwoch
Kerzen und Kuscheltiere erinnern an eine Tragödie vom Mittwoch

 

(sr). Der Tod von Marie-Céline hat die Medienwellen hochschlagen lassen. Daher habe ich mir einmal Gedanken zur Medienberichtserstattung gemacht. Herausgekommen ist ein nachdenklicher Beitrag.

 

Lange haben wir uns in der Redaktion darüber Gedanken gemacht, wie wir mit dem Tod der vier Jahre alten Marie-Céline umgehen sollen. Sicherlich, wie viele andere Journalisten, haben wir den Leitsatz des langjährigen Sprechers der »ARD-Tagesthemen«, Hans Joachim Friedrichs im Kopf, der einmal in einem Spiegel-Interview sagte: »Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.« Das ist aber häufiger leichter gesagt als getan. Gerade wenn es um Kinder geht, dann hat die journalistische Coolness ihre Grenzen. Der Tod von Marie-Céline, hat uns betroffen gemacht, wie viele andere Schwerinerinnen und Schweriner. Doch wie geht man als Journalist richtig mit dem Thema um? Gibt es in solchen Fragen überhaupt ein Richtig oder Falsch?

 

Wir glauben, dass es angemessen ist, zurückhaltend über dieses Thema zu berichten. Ob wir damit den richtigen Weg gewählt haben, das muss der Leser entscheiden. Eigentlich war aber absehbar, dass ein totes Mädchen bei einem Badeunfall am Zippendorfer Strand für die lokale Presse in der Stadt eine Herausforderung darstellen würde. Eine, die nicht jede Journalistin, jeder Journalist gleich gut bewältigt. Eine Herausforderung, die leider auch diesmal bei manchen Kollegen unter Voyeurismus und Sensationshascherei begraben wird.

 

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So kann man zum Beispiel in den sozialen Netzwerken lesen, dass Journalisten nach Bekanntwerden der Nachricht nichts anderes zu tun haben, als sich bei Angehörigen zu melden, um von ihnen Stellungnahmen zu bekommen.

 

Die Aufgaben des Journalismus

 

Ich bin gerne Journalist und glaube, dass Medien in einer Demokratie eine wichtige Aufgabe haben. Das eine, davon bin ich überzeugt, ist ohne das andere nicht denkbar. Freier Journalismus, wenn er nicht zur Hofberichterstattung oder zur billigen Propaganda verkommen soll, ist nur in einer demokratischen Gesellschaft vorstellbar. Journalismus hat Menschen nicht zu erklären, wie sie die Welt zu sehen haben. Nein, Journalismus soll Kommunikation ermöglichen und verschiedene Seiten eines Sachverhalts darstellen. Die Welt ist nicht einfach in Schwarz oder Weiß einzuteilen. Das immer wieder darzustellen, ist die große Herausforderung an uns. Menschen sollen sich anhand der Vielschichtigkeit ein eigenes Bild machen können. Trotzdem hat Journalismus auch seine Grenzen und manchmal kann Zurückhaltung besser sein als die schnelle Nachricht.

 

Die Schweriner Tageszeitung »SVZ« berichtet seit Mittwoch täglich über den tragischen Todesfall. Dabei werden gleich mal Menschen aus der Umgebung des toten Mädchens befragt und dürfen mitteilen, dass sie vor »ein paar Wochen die kleine Maus auf dem Schoß sitzen« hatten. Rief die Mutter noch in der ersten SVZ-Schlagzeile über das Unglück am Strand um Hilfe und wurde in den Kommentarspalten und den sozialen Netzwerken als »Rabenmutter« beschimpft und öffentlich an den Pranger gestellt, musste die Kollegen in einem nächsten Artikel zugeben, dass die Mutter zum Zeitpunkt des Unglücks arbeiten gewesen war. Auf ein Wort des Bedauerns wartet die Öffentlichkeit bisher vergeblich. Vielmehr werden wiederholt Statements von Leserinnen und Lesern nachgelegt, die den Angehörigen ihr Mitgefühl aussprechen, andererseits den Eltern Vorwürfe machen oder sie gegen diese in Schutz nehmen.

 

Medienethik ist gefragt

 

Mich hat diese Form der Berichterstattung nachdenklich gemacht. Zum journalistischen Handwerk gehört neben Recherche, einem schönen Texteinstieg und einer gewieften Interviewtechnik auch Medienethik. Aber selbst wenn einige Journalisten nicht viel von ihrem Handwerk halten mögen, sollten sie wenigstens eine Minute darüber nachdenken, wie es ihnen gehen würde, wenn ihr Kind am Zippendorfer Strand ertrunken wäre? Hätten sie ein Interesse daran gehabt, dass in der Öffentlichkeit alles immer und immer wieder durchdekliniert wird? Würden sie sich nicht vielleicht doch besser Respekt und mehr Empathie von den Medien wünschen?

 

Mir ist bewusst, dass es ein legitimes journalistisches Stilmittel ist, bei Katastrophen und Unglücken auf die Emotionalität bei den Lesern zu setzen. Trotzdem, davon bin ich überzeugt, wäre hier weniger mehr gewesen. Für eine Mutter, die arbeitet und durch einen Anruf vom Tod ihrer Tochter erfährt, bricht eine Welt zusammen. Sie hat es nicht verdient, an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden. Ebenso verbieten sich Spekulationen darüber, wie es zu dem Unglück gekommen sein kann. Ob ein Bekannter der Mutter seine Aufsichtspflicht verletzt hat oder Alkohol getrunken hat? Es hätte viele gute Gründe gegeben, erst einmal die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Frühe Vorverurteilungen und Schuldzuweisungen empfinde ich als sehr problematisch. In einer emotional aufgeladenen Situation kann so etwas Öl ins Feuer gießen und schnell kann man Menschen Unrecht antun. Hier haben Journalisten eine ethische Verantwortung. Der Wunsch nach Steigerung der Verkaufszahlen entbindet sie nicht davon. Die Emotionen der Hinterbliebenen und der Betroffenen sollte immer über die der Leser gestellt werden. So ist zumindest mein Selbstverständnis.

 

Ich habe angesichts von Katastrophen in der Vergangenheit auch andere Journalisten erlebt. Sie packten ihre Notizblöcke, Mikrofone und Kameras aus, um Eindrücke einzufangen. Je mehr sie mit Betroffenen sprachen, umso nachdenklicher wurden sie. Sie hörten lange zu und verwendeten dann aus Respekt keine der gemachten Aussagen. Ob sie in dieser Situation gute oder schlechte Journalisten gewesen sind, kann ich nicht beurteilen. Ich hätte mir im Fall Marie-Céline jedenfalls mehr solche Journalisten gewünscht.

 

Stefan Rochow (39) ist Mitherausgeber und Leitender Redakteur von Schwerin-Lokal.

 

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Written By
Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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