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Montagsgedanken: Es ist alles wie früher – nur anders

Schwerin, 06.02.2017 (stm). Was ist an unserem Marienplatz los? Diese Frage stellen sich viele Menschen in den letzten Wochen und Monaten in Schwerin. Eigentlich ist alles wie früher, sagt unser

  • Veröffentlicht Februar 6, 2017

Schwerin, 06.02.2017 (stm). Was ist an unserem Marienplatz los? Diese Frage stellen sich viele Menschen in den letzten Wochen und Monaten in Schwerin. Eigentlich ist alles wie früher, sagt unser Gastautor Stephan Martini in seiner heutigen Montagskolumne.

von STEPHAN MARTINI

 

In den vergangenen Monaten mehren sich die Berichte in der regionalen Presse. Der Marienplatz ist zu einem wahren Sicherheitsrisiko für alle, die ihn betreten geworden. Es vergeht keine Woche in der es nicht irgendwo im direkten Umfeld des Marienplatz zu Schlägereien oder Auseinandersetzungen kommt. Es stehen beinahe täglich Polizeiwagen vor Ort um rechtzeitig einzugreifen, wenn prügelnde und pöbelnde Jugendliche und junge Erwachsene unseren zentralen Knotenpunkt in ein Schlachtfeld verwandeln.

 

So oder ähnlich wirkt es, wenn man sich derzeit über die Probleme rund um den Marienplatz unterhält. Doch weit gefehlt: Dazu kann ich nur sagen, Leute erinnert euch an eure Jugend! Erinnert euch daran, als Schwerin noch eine lebendige Stadt war – bevor Versicherungen, Bankfilialen und Shoppingcenter die Innenstadt übernommen haben. Als ich mit 21 Jahren auf dem Marienplatz, mit Kumpels und Party-Gefährten unterwegs war, gab es an den folgenden Tagen immer spannende Geschichten auszuwerten. Gerade wenn eine Bahn vom Dreesch kam, in der Gäste aus dem Busch-Club, oder der Venus Bar saßen. Dann kam es auch regelmäßig zu kleineren und größeren Auseinandersetzungen, wenn Szenen wie  der Clubb 88 in der Goethestraße und dem Dr. K. aufeinandertrafen.

 

AchtEck, Felsenstein, und noch vor kurzem Club 77/Mexx oder wie es davor hieß,  Appendix: Es war nie wirklich ruhig nachts auf dem Marienplatz, und gerade nicht an den Wochenenden. Es gab sogar mal eine Zeit, wo es direkt da, wo heute der Eingang der Marienplatz Galerie ist, eine Bar gab.

 

Fragt man sich durch die Generation der heute 30 bis 40-Jährigen, weiß nahezu jeder – der sein Wochenende gerne mit Freunden und Kumpels verbrachte – eine Auseinandersetzung rund um den zentralen Platz der Stadt zu erzählen. Selbst ich erinnere mich an eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf ich mir unter anderem ein blaues Auge eingefangen hatte.

 

Mehr Straftaten oder mehr Wachsamkeit?

 

Wodurch kommt es zu einer derartigen Steigerung von Gewalt und Auseinandersetzungen? Ganz einfach: In den vergangenen Monaten stehen an dem zentralen Knotenpunkt der Stadt ständig Polizeibeamte, die einfach jede, noch so kleine „Straftat“ und Ordnungswidrigkeit registrieren. Man stelle sich mal vor, vor fünf oder zehn Jahren wären die Polizeibehörden angewiesen worden, jeden Tag, und am Wochenende auch zur Nachtzeit, auf dem Platz zu stehen. Dann wäre mein „blaues Auge“ von damals aktenkundig und zur Straftat geworden. Die Statistik der „Gewalttaten“ wäre um einiges höher ausgefallen.


Mein blaues Auge, die Beule am Kopf und der Tritt in meine Rippen, wurde – wie so einiges anderes –  nicht aktenkundig.  Wer weiß, hätte ich damals schon ein ständig betriebs- und einsatzbereites Smartphone bei mir gehabt, wäre es bestimmt aktenkundig geworden. Und wenn damals einer der zufällig am Platz Herumirrenden ein Smartphone gehabt hätte, dann wohl auch. Ich schleppte mich damals einfach, wie so viele andere, nach Hause. Eine Woche später gehörte der Zwischenfall einfach nur noch zu meinen Erinnerungen und zu Geschichten, die ich heute, als gerade einmal 33 Jähriger, gerne mal anderen Leuten erzähle.

 

Technologischer Quantensprung

 

Selbstverständlich müssen Auseinandersetzungen geahndet werden. Es ist ein technologischer Quantensprung gewesen, dass wir unter- und miteinander vernetzt sind. Ein Segen, doch auch ein Fluch zugleich. Wir sind dank der kleinen Computer in unserer Tasche ständig und jederzeit verfügbar, abrufbar und einsatzbereit. Arbeitgeber wissen das inzwischen auch zu nutzen und haben dadurch schon so manche Feierabendplanung über den Haufen geworfen.Wir werden überflutet mit „Breaking News“ und Meldungen über das Mittagessen uns persönlich unbekannter Community-Freunde. Aber es „Gefällt uns“. Das ist eben das inzwischen alltäglich gewordenen „Neuland“.

 

Doch nicht nur „wir“ sondern auch jede Notdienststelle, die heute mehr Menschen, schneller retten kann, profitiert und agiert durch den „Quantensprung“. Erst kürzlich hatte ein guter Freund einen schweren Fahrradunfall. Ohne die schnelle und unkompliziert erreichbaren Rettungskräfte, hätte er den Unfall nicht überlebt. Mehrere Schädelbrüche. Er stürzte so schwer, dass jede Minute zählte. Und Passanten, die das aus der Entfernung sahen,schritten ein. Sie halfen ihm, riefen den Notarzt und das alles in weniger als zwei Minuten nach dem Unfall.

 

Wir sehen mehr und unsere Umwelt reagieren schneller

 

Doch die Berichte der vergangenen Monate scheinen auszublenden, dass es in den letzten Jahren viele, unzählige Vorfälle am Marienplatz und der Umgebung gab. Es wird in den letzten Monaten der Eindruck erweckt, als sein Schwerin von einer Bande marodierender und gewaltätiger Asylanten, Nazis und Punks überrollt worden.

Doch als gebürtiger und gerne feiernder Schweriner, habe ich einen komplett anderen Eindruck. Konflikte mit Schweriner von damals, scheinen sich, egal wie provokant und betrunken man ist, durch Worte klären zu lassen. Entweder bin ich alt geworden oder Schwerin in Gänze tatsächlicher friedlicher geworden.

 

Die Kriminalitätsstatistiken widersprechen sich

 

Wodurch begründet sich ein vermeintlicher Anstieg der „Straftaten“ auf dem Marienplatz? Ich denke, dass dieser Anstieg durch mehr „Meldemöglichkeiten“ und mehr „Präsenz vor Ort“ erklärbar ist. Zukünftig wird der Marienplatz ja kameraüberwacht. Die Polizeibeamten „ziehen ab“. und dadurch, dass Beamte vor einem Bildschirm nahezu jede Bewegung registrieren, wird es am Anfang mehr Straftaten geben. Doch sobald auch der Letzte verstanden hat, dass, egal was er dort treibt, alles registriert , und aufgezeichnet wird, kann erwartet werden, dass im zweiten oder dritten Jahr eine Verringerung an Straftaten stattfinden wird.

 

Zum Schluss das Thema „böse Syrer“

 

Natürlich hat Schwerin auch durch den Zuzug von Asylbewerbern, Zuwanderern und Migranten eine Kriminalitätssteigerung. Doch gemessen an der Zahl von über 5.000 Flüchtlingen, die Schwerin über die letzten 18 Monate beherbergt hatte, von denen ein Großteil weiter gezogen sind, sind 20 bis 30 pubertäre Jugendliche, die am Marienplatz und der Umgebung ihren Frust, aufgrund einer gescheiterten Asyl- und Integrationspolitik unkontrolliert einen freien Lauf lassen, eigentlich ein Witz.

 

Das diese kleine Gruppe nun die große Gefahr für unsere Sicherheit rund um den Marienplatz darstellen soll, oder dass man dass weit über 92.000 Schwerinerinnen und Schwerin als absolutes Muss für eine Kameraüberwachung verkaufen will, ist eine Farce – zumindest wenn man diese Stadt, unsere Stadt kennt. Damals war das Stadtzentrum zum feiern da, heute gibt es dort Free-WLAN und Konsum. Irgendwie vermisse ich das gute alte Schwerin. So ganz ohne Smartphone und Dauerüberwachung.

 

Gerne würde ich noch ein brisantes Thema ansprechen, das allzu oft in den Hintergrund gerät. Der technologische „Quantensprung“ und die stabile Energieversorgung der Entwicklung stammt nicht aus unseren Landen. Sondern aus Kriegs- und Kriesenregionen – aus Regionen, und Situationen, die Flüchtlinge produzieren. Doch dass mag ein Montagsgedanke für ein anderes mal sein.

 

Über unsere Montagsgedanken

Unsere Kolumne Montagsgedanken greift Themen auf, die die Menschen bewegen. Ob aus Kultur, Politik, Wirtschaft oder Bildung, Weltweites oder Regionales, Sport oder Verkehr – alles ist erwünscht. Teilweise kommen unsere Gedanken aus der Redaktion. Wir freuen uns aber auch, wenn Sie sich einbringen möchten. Wenn Sie einen Vorschlag haben, dann schreiben Sie uns gerne über redaktion@schwerinlokal.de an und umreißen Sie kurz, wozu Sie einen Text in dieser Reihe veröffentlichen möchten. Wir freuen uns auf Ihre Ideen.

 

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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