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Zoff um zerstörte Wahlplakate: Verbale Abrüstung ist auf allen Seiten notwendig

Schwerin, 28.07.2016 (red/sr). Seit Freitag hängen sie wieder: Die Wahlkampfplakate der Parteien zur Oberbürgermeister- und Landtagswahl am 4. September. Mehr als bei den vorhergegangenen Wahlen scheinen die Zerstörung der Wahlkampfplakate

  • Veröffentlicht Juli 29, 2016

Schwerin, 29.07.2016 (red/sr). Seit letzten Freitag hängen sie wieder: Die Wahlkampfplakate der Parteien zur Oberbürgermeister- und Landtagswahl am 4. September. Stärker als bei den vorhergegangenen Wahlen, scheint die Zerstörung der Wahlkampfplakate zugenommen zu haben. Darüber ärgern sich zur Zeit alle Parteien. Die Masche „Haltet den Dieb!“ bringt allerdings kein Stück weiter.

 

Von Stefan Rochow 

 

Zerstörte Plakate in Schwerin
Zerstörte Plakate in Schwerin

 

Die heiße Phase des Wahlkampfes ist am vergangenen Freitag eröffnet worden: Plakate an Laternen und Großplakate mit den unterschiedlichsten Versprechen und Proklamationen zeigen Schwerins Bürgerinnen und Bürgern, dass der Kampf um ihre Stimmen begonnen hat. Nicht jeder freut sich über die Parteienwerbung. Immer wieder kommt es vor, dass Plakate beschädigt oder heruntergerissen werden. Sehr zum Ärger der werbenden Parteien. Ein Schuldiger ist schnell herbeigeredet: Der jeweilige politische Gegner!

 

Mit „Kopfgeld“ gegen Vandalismus

 

Den Vogel schießt dabei die AfD ab. Bei jeder Wahl werden meist nur AfD-Plakate beschmiert, zerstört oder sogar gestohlen“, behauptet Thomas de Jesus Fernandes, dem Kreisvorsitzenden des AfD-Kreisverbandes Mecklenburg-Schwerin. Der AfD-Kreisvorsitzende kritisiert das „fehlenden Demokratieverständnis der politischen Mitbewerber“. Woher de Jesus Fernandes das Wissen nimmt, dass Mitglieder anderer Parteien die AfD-Plakate zerstören, erfährt man leider nicht. Unvorstellbar, dass die Vandalen einen Parteiausweis am Zerstörungsort liegen gelassen haben.

Thomas de Jesus Fernandes möchte vielmehr mit der Schuldzuweisung an seine „politischen Mitbewerber“  ein wenig auf den Putz hauen. Außer Behauptungen, scheint er zumindest keine handfesten Beweise zu haben. Im Kampf gegen die Zerstörung ihrer Plakate, setzt die Partei nun auf die Bevölkerung. Ein „Kopfgeld“ von 200 Euro hat der Kreisverband deshalb für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung der Täter führen.

So sehr man Verständnis für den Ärger der Partei aufbringen möchte, so fragt man sich  trotzdem, in welchem Paralelluniversum de Jesus Fernandes und seine Parteifreunde eigentlich leben. Wer nur einigermaßen mit offenen Augen durch die Stadt geht, der stellt schnell fest, dass vom Plakat-Vandalismus alle Parteien betroffen sind.

 

Vandalismus trifft alle Parteien

 

So haben Unbekannte in Lankow gegenüber dem Nettomarkt ein Großplakat der Partei DIE LINKE mit schwarzer Farbe beschmiert. Mit dem Hinweis auf den Skandal um den Verein „Power for Kids“, den die Schmierfinken Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow anlasten, ist dort der Schriftzug „Lügnerin“ zu lesen. Das Plakat ist inzwischen schon wieder ausgetauscht worden.

 

Auf der Wiese vor der alten Schwimmhalle in Lankow, haben sich Vandalen gleich kurz nach Aufstellung an  den Großplakaten ausgetobt. Hier wurden sowohl Plakate der CDU, der SPD und von Bündnis 90/ Die Grünen zerstört. Schwerins CDU-Kreisvorsitzende, Dorin Müthel-Brenncke  ruft deshalb zu einem fairem Umgang miteinander in der aktuellen Wahlkampf-Phase auf. „In den vergangenen Tagen wurden wiederholt Wahlplakate und Aufsteller, unter anderem im Bereich der alten Schwimmhalle Lankow und auf anderen Flächen in Lankow, massiv beschädigt, abgerissen oder beschmiert. Ich sehe mit Sorge, dass es einigen Kräften in unserer Stadt offensichtlich nicht gelingt, auch in Zeiten des Wahlkampfes die Regeln der Fairness einzuhalten und Wahlwerbe-Inhalte politischer Mitbewerber zu akzeptieren.“

 

Auch die CDU-Kreisvorsitzende hat den „politischen Mitbewerber“ als Urheber der Zerstörungswut ausgemacht. Belege für die Behauptung sucht man allerdings vergeblich. Auch hier ist schwer vorstellbar, dass die Täter ein Parteibuch bei den zerstörten Plakaten liegengelassen haben.

 

Statt Disput Ausgrenzung

 

Das die Zerstörung von Wahlplakaten offenbar im diesjährigen Wahlkampf zugenommen hat, ist eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die nachdenklich machen sollte. Wo Diskussion, Argumentation und Disput der Zerstörung, dem Hass und blinder Wut weicht, da läuft etwas schief in unserem Land. Die Schuld nun dem jeweiligen politischen Gegner in die Schuhe zu schieben, ist die primitiv anmutende Masche „Haltet den Dieb, dort läuft er!“. Mit dem Finger auf ein Phantom zu zeigen, ist nicht nur primitiv, sondern auch eine ziemlich billige Masche.

 

Nicht erst seit der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr, ist es um die Debattenkultur in unserem Land nicht zum Besten bestellt. In vielen Diskussionen geht es weniger um den Austausch von Argumenten, sondern nur noch um die vermeintliche „Entlarvung“ des Gegenübers. Die Fähigkeit dem Gegenüber zuzuhören, ihn erst einmal als Menschen gelten zu lassen und das unabhängig davon, ob man seine Meinung teilt oder nicht, ist in Deutschland scheinbar vollkommen verloren gegangen. Statt Disput, ist die Ausgrenzung des Anderen die vielfach praktizierte Umgangsform miteinander.

 

Für eine Gesellschaft, die liberal und tolerant bleibt

 

Das miteinander Reden ist ein Ausdruck von Respekt, Mitmenschlichkeit und Verantwortung, Wertschätzung, Zivilcourage, Mut zur Haltung, Empathie und  gegenseitige Achtung. Wo man nicht mehr miteinander redet, da macht man ein aufeinander Zugehen unmöglich. Gräben werden vertieft und das führt am Ende zu eben jener gespaltenen Gesellschaft, wie wir sie uns im Moment erleben. Schuld sind immer die anderen. Eine Haltung, die niemanden weiterbringt. Wer  für eine Gesellschaft steht, die tolerant und liberal ist, der muss sich für Diskurse stark machen, die wieder fair und konstruktiv kritisch werden. Das Motto „Haltet den Dieb!“, ist lediglich dazu geeignet, die Gräben zu vertiefen. Sinnvoll ist das  nicht.

 

Die Zerstörungswut der Plakate ist ein Ausdruck dafür, dass Menschen nicht mehr fähig sind, Argumente auszutauschen. Anstelle von politischer Auseinandersetzung, steht die totale Zerstörung des Anderen. Für eine Demokratie ist so etwas unwürdig. Abrüstung ist daher auf allen Seiten geboten.

 

Wahlplakate abreißen oder zu beschmieren ist übrigens kein Kavaliersdelikt sondern eine Straftat. Wer auf frischer Tat ertappt wird muss mit einer erheblichen Geldstrafe oder sogar bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen. Besonders hart können die Strafen ausfallen, wenn verfassungsfeindliche Symbole auf die Plakate geschmiert werden.
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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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