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Freihandel wird Thema in Schweriner Stadtvertretung

  (sr). CETA, TiSA und TTIP fördern das Wachstum – sagen die Befürworter. Sie sind eine Gefahr für die Grundrechte – sagen die Gegner. Nun hat diese Diskussion auch Schwerin

  • Veröffentlicht Oktober 30, 2014

TTIP Europa

 

(sr). CETA, TiSA und TTIP fördern das Wachstum – sagen die Befürworter. Sie sind eine Gefahr für die Grundrechte – sagen die Gegner. Nun hat diese Diskussion auch Schwerin erreicht.

 

Längst ist es politischer Sprengstoff geworden: Die Freihandelsabkommen CETA und TTIP sorgen für eine kontroverse Debatte in ganz Europa. Befürworter versprechen sich von beiden Abkommen vor allem Wirtschaftswachstum. Gegner hingegen befürchten, dass mit beiden Abkommen die Grundrechte ausgehebelt werden. Betrachtet man beide Argumentationen, dann bemerkt man, dass vieles an dem Streit inzwischen von beiden Seiten zur Ideologie hochstilisiert wurde. Egal wie man zu den Abkommen steht, die auf EU-Ebene stattfindenden Verhandlungen sind ein schlagender Beweis dafür, dass Intransparenz am Ende Ängste schürt und die politische Auseinandersetzung verengt.

 

Die Handelsabkommen sollen der Europäischen Union mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Das versichern die Befürworter immer wieder gebetsmühlenartig. 119 Milliarden Euro gesamtwirtschaftlicher Gewinn pro Jahr für die EU, 95 Milliarden für die USA, 28 Prozent mehr Ausfuhren in die USA, 110.000 neue Arbeitsplätze alleine in Deutschland, 545 Euro pro Jahr für eine vierköpfige Familie – die Zahlen klingen imposant und man möchte verwundert fragen, was gegen so ein Abkommen ernsthaft eingewendet werden kann?

 

Kritiker sind sich einig, dass diese Abkommen am Ende vor allem nur den Großkonzernen Vorteil bringen kann. Vorgaben zum Umwelt- und Verbraucherschutz könnten ausgehöhlt werden, die Position von Arbeitnehmern geschwächt werden und die Gestaltungsfähigkeit der Demokratie, quasi durch die Hintertür, eingeschränkt werden. Das soll nicht kritiklos hingenommen werden. Seit Monaten machen daher Gegner der Freihandelsabkommen auch in Deutschland mobil. Am vergangenen Samstag fand eine Protestaktion auch in Schwerin statt.

 

Eine Millionen Unterschriften für eine Europäische Bürgerinitiative

 

Insgesamt eine Millionen Unterschriften aus mindestens sieben verschiedenen EU-Ländern wären notwendig, um über eine sogenannte Europäische Bürgerinitiative (EBI) die Europäische Kommission zum Handeln zu zwingen. Seit dem Lissaboner Vertrag wurde diese Möglichkeit eingebaut, um den Bürgern mehr politische Teilhabe in der Europäischen Union zu ermöglichen. Von dieser Teilhabe möchte das Bündnis »Stop TTIP«, zu dem sich in Europa 230 Organisationen, darunter auch Brot für die Welt und Attac Deutschland, zusammengeschlossen haben Gebrauch machen. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Kommission dazu zu zwingen, die Verhandlungen des deutsch-amerikanischen Handelsabkommens TTIP einzustellen und die Ratifizierung des europäisch-kanadischen Abkommens CETA zu verhindern. Ganz schlecht stehen die Chancen, die Unterschriften zusammenzubekommen nicht. Vor allem in Deutschland, Österreich und Großbritannien erhitzen sich seit Monaten die Gemüter. Daher werden von einem Bündnis aus Piraten, der Aktion Stadt- und Kulturschutz [ASK] und der dem Naturschutzbund BUND auch wieder am 11. November vor dem Rathaus der Landeshauptstadt stehn und Unterschriften sammeln. Nach Angaben von Attac-Aktivist Stephan Martini, hätten man europaweit schon 700.000 Unterschriften zusammen.

 

Stadtvertretung beschäftigt sich mit Freihandelsabkommen

 

Der Protest gegen TTIP findet in Schwerin aber nicht nur auf der Straße statt, sondern hat auch die Stadtvertretung erreicht. Für die kommende Stadtvertretersitzung haben verschiedene Fraktionen und Initiativen angekündigt, das Thema TTIP und Co. auf die Tagesordnung zu bringen.

 

Die Stadtvertreterin Anita Gröger, die für die [ASK] in der Stadtvertretung sitzt, hat für die kommende Sitzung einen Antrag »Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA ablehnen« eingereicht und möchte damit erreichen, dass die Stadtvertretung Schwerin die Abkommen TTIP, CETA und TISA ablehnt. Gröger und ihre Unterstützer befürchten, dass diese Freihandelsabkommen die »Gestaltungsmöglichkeiten von Städten und Gemeinden und ihrer Bürger und Bürgerinnen nachhaltig einschränken könnten und in erster Linie den Interessen von multinationalen Konzernen dienen«. Von einem »massiven Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung« spricht der Antrag weiter. Daher soll nach Vorstellung der Antragstellerin die Landeshauptstadt Schwerin die ablehnende Haltung gegenüber Landes-, Bundesregierung und Europäischem Parlament deutlich machen.

 

Befürchtungen über den Inhalt der geplanten Regelung hatte im Januar schon der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern geäußert, die dann auch im Oktober durch ein gemeinsames Positionspapier von Deutschem Städtetag, Deutschem Landkreistag, Deutschem Städte und Gemeindebund und dem Verband kommunaler Unternehmen noch einmal aufgegriffen wurde. Die Spitzenverbände sind vor allem besorgt, dass die Abkommen in die kommunale Daseinsvorsorge, der kommunalen Organisationshoheit und des öffentlichen Beschaffungswesens eingreifen könnte. Gemeint ist hier konkret die weitgehende Liberalisierung und Privatisierung von Wasser, Bildung und Gesundheit, die in den vergangenen Jahren in vielen Kommunen in Gang gesetzt wurden. Die Freihandelsabkommen, so die Befürchtungen, könnten diesen Trend nun forcieren. Von Qualitätseinbußen, Preissteigerungen und Auszehrung der kommunalen Infrastruktur ist die Rede. Bei einer Liberalisierung und damit verpflichtenden völligen Gleichbehandlung von in- und ausländischen Bewerbern um Aufträge, könnten Aspekte wie Unterstützung der lokalen/regionalen Wirtschaft und soziale und ökologische Kriterien bei der Auftragsvergabe nicht mehr berücksichtigt werden.

 

Dieser Auffassung schließt sich auch die LINKE in der Schweriner Stadtvertretung an und möchte mit einem entsprechenden Antrag für die kommende Stadtvertretung erreichen, dass sich auch die Stadtvertretung dem Ansinnen anschließt und den Stadtpräsidenten auffordert, die »insbesondere gegenüber den für Mecklenburg-Vorpommern zuständigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments in geeigneter Form deutlich zu machen«.

 

Die SPD-Fraktion der Schweriner Stadtvertretung fordert in ihrem Antrag die »aktuellen Verhandlungen mit größtmöglicher Transparenz und Öffentlichkeit zu führen«. Darüber hinaus müsse sichergestellt werden, dass »keinerlei Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden vorgenommen werden«. Die kommunale Daseinsvorsorge sowie die Kultur und Bildung dürfen nach Ansicht der Fraktion nicht Gegenstand der Verhandlungen sein. Auch möchten die Sozialdemokraten in der Schweriner Stadtvertretung verhindern, dass Klauseln in die Abkommen hineingenommen werden, die die »Liberalisierung unumkehrbar und die Rekommunalisierung unmöglich machen«. Die Oberbürgermeisterin, so der Antrag der SPD, soll beauftragt werden, den Beschluss gegenüber der Landesregierung zu unterstützen.

 

Bündnis 90 / Die Grünen in der Stadtvertretung, haben eine Resolution erarbeitet, die sie der Stadtvertretung in einem Antrag vorgelegt haben. In der Resolution wird neben den schon von den anderen Fraktionen und Initiativen genannten Punkten eingefordert, dass die Landeshauptstadt und die Stadtvertretung das Europäische Parlament und den Bundestag auffordern, den Freihandelsabkommen so lange nicht zuzustimmen bis gesichert ist, dass die europäischen Sozial- und Umweltstandards sowie der Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge nicht gefährdet werden können. Die grünen Stadtvertreter sehen mit den Abkommen die demokratischen Grundsätze untergraben, da im Moment die Verhandlungen seitens der EU-Kommission weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden.

 

Freihandel kann eine Chance sein

 

Am Ende scheint es wirklich die Geheimniskrämerei der Verhandlungsparteien zu sein, die Misstrauen bei Parteien, Initiativen und Bürgern erweckt. Dieses Misstrauen ist nachvollziehbar. Demokratische Gesellschaften setzen ja gerade auf das Mitbestimmungsrecht ihrer Bürger. Das kann mitunter kompliziert und anstrengend sein. Trotzdem sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, dass das alle paar Jahre eine Kreuzchen bei der Wahl zu machen für das Funktionieren der Demokratie zu wenig ist. Bürger die sich einmischen, die ihre Interessen nicht delegieren sondern in Prozesse der Willensbildung eingreifen – ist für manchen ein mühsamer Weg, gerade dann, wenn der Bürger gegen die Interessen der vermeintlichen Obrigkeit stimmt. Zur Kompetenz bei der Begleitung von Entscheidungen, ist Transparenz aber notwendig. Transparenz, die bei den Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen ein wenig aus dem Blickwinkel geraten ist. Daher ist die Diskussion in der Vergangenheit oft von Unsachlichkeiten geprägt – Datenkraken, Chlorhühner und Hormonfleisch die Debatte bestimmt.

 

Bei aller Kritik an der Art und Weise der Verhandlungen, ist das Freihandelsabkommen mit den USA aber auch eine Chance. Noch heute gilt, was schon der Ökonom Adam Smith beschrieben hat: Freier Handel, also die internationale Arbeitsteilung, ermöglicht die Spezialisierung; wenn jeder das tut, was er am besten kann, steigert das den Wohlstand aller. Zugleich erleichtert Handel Innovationen, weil sich Forschung und Entwicklung auf globalen Märkten mit mehr Kunden schneller auszahlen. Und er verschärft den Wettbewerb unter den Unternehmen und sorgt so für sinkende Produktpreise. Daher sollte man das Kind nicht sprichwörtlich mit dem Bade ausschütten.

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Redaktion

der digitalen Tageszeitung Schwerin-Lokal. Kontakt: redaktion@schwerin-lokal.de

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